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22.03.2016 | Schammatdorf

Eine bunte Mischung von Menschen

Im Sommer ist der Kiosk im Schammatdorf ein beliebter Treffpunkt. Foto: Schammatdorf e.V.
Im Sommer ist der Kiosk im Schammatdorf ein beliebter Treffpunkt, an dem die unterschiedlichen Bewohner zusammenkommen, um bei einem Eis oder einer Tasse Kaffee miteinander zu reden. Foto: Schammatdorf e.V.
Die Verbesserung der Lebenssituation der Menschen ist ein Ziel der Gemeinwesenarbeit (GWA). In Trier gibt es sie mit spezifischen Ausprägungen und Entstehungsgeschichten in verschiedenen Stadtteilen. Die Rathaus Zeitung stellt die fünf Standorte vor. Im letzten Teil der Serie steht das Schammatdorf in Trier-Süd im Fokus.

Als einheitlich geplantes und komplett neu gebautes Wohnprojekt mit integrativer Ausrichtung unterscheidet sich das Schammatdorf aufgrund seiner Bau- und Organisationsstruktur von den klassischen Standorten, in denen GWA praktiziert wird. Angesichts der Handlungsfelder und der Zielgruppe bestehen jedoch auch Parallelen zur GWA, wie sie in anderen Gegenden Triers umgesetzt wird. Dies wird deutlich, wenn man Anja Loch zuhört, der „Kleinen Bürgermeisterin“ im Schammatdorf: „Wir bieten eine Kochgruppe für Senioren, Seniorengymnastik, Kinoabende, Konzerte, Lesungen, Vortragsreihen und Ausflüge an“, erläutert sie. „Zudem kochen verschiedene Teams einmal pro Monat für ihre Nachbarn und im Sommer öffnen Ehrenamtliche an zwei Tagen in der Woche unseren Kiosk“, ergänzt Loch, die den Bewohnern als Ansprechpartnerin und Koordinatorin zur Verfügung steht. In ihren Sprechstunden hilft sie bei bürokratischen Fragen, Konflikten, sozialen Notlagen und vielem mehr. Auch für Wohnungsbewerber ist sie die erste Anlaufstelle. Gemeinsam mit einem Vertreter der Abtei St. Matthias, der Trägerin des Wohnprojektes, wählt sie mögliche Nachmieter für freigewordene Wohnungen aus. Wer ins Schammatdorf ziehen möchte, muss allerdings geduldig sein: „Auf meiner Warteliste stehen 160 Personen und pro Jahr werden im Schnitt nur fünf Wohnungen frei“, erzählt Loch. Anfragen kommen aus dem ganzen Bundesgebiet, auch Menschen aus Polen, der Ukraine und dem Libanon leben im Süden Triers auf dem gut vier Hektar großen Gelände. Wer einmal dort lebe, der bleibe im Normalfall auch, weiß Loch.

Vor dem Hintergrund zahlreicher Probleme städtischen Wohnens entwickelte sich in den 70er-Jahren in Trier der Gedanke, ein Wohngebiet mit sozialer Zielsetzung zu errichten. In Zusammenarbeit mit dem städtischen Sozialdezernat planten die Abtei St. Matthias und die Wohnungsbau und Treuhand AG (gbt) das Schammatdorf, das Ende 1979 bezugsfertig war. Heute leben in 144 Wohnungen etwa 280 Menschen. Grundgedanke des Projektes war und ist, einen Wohnbereich zu schaffen, in dem unterschiedliche Menschen zusammenleben: Familien mit Kindern, Menschen mit und ohne Behinderung, Ältere, Studenten, Alleinerziehende, Menschen mit psychischen Erkrankungen. „Auf die bunte Mischung kommt es an“, betont Loch und sagt: „Wir haben Bewohner von 0 bis 90 Jahren, von Hartz IV-Empfängern bis zur Ministerpräsidentin.“ Bekanntlich lebt Malu Dreyer mit ihrem Mann, Triers ehemaligem Oberbürgermeister Klaus Jensen, im Schammatdorf.

Da selbstständig Lebende mit Menschen zusammenwohnen, die mit der Bewältigung ihres Alltags Probleme haben, spielt Nachbarschaftshilfe eine große Rolle: „Das geht schon damit los, dass man morgens schaut, ob beim Nachbarn die Rolläden oben sind. Aber auch Einkäufe erledigt man“, erläutert Hilde Greichgauer, die mit ihrer Familie seit 16 Jahren im Dorf lebt und Erste Vorsitzende des Schammatdorf-Vereins ist. Es gebe jedoch eine Grenze nachbarschaftlicher Hilfe, erläutert sie. Und die verlaufe dort, wo die Pflege beginne. Ob jemand eine Behinderung habe oder nicht, falle irgendwann nicht mehr auf, erzählt Greichgauer: „Im Dorf ist Behinderung kein Thema, es ist normal.“ Loch ist sich sicher: Menschen mit und Menschen ohne Behinderung lernen den Umgang miteinander auf andere Art und Weise. „Inklusion wurde hier gelebt, noch bevor sie zur gesellschaftlichen Diskussion wurde“, sagt sie. Etwa 30 Prozent der Bewohner haben eine Behinderung.

Kommunikative Architektur

Weiterer wichtiger Bestandteil des Lebens im Schammatdorf ist die Kommunikation, wofür die Architektur gute Voraussetzungen schafft: Die Häuser sind in Wohnhöfen angelegt, die elf Höfe mit Bäumen, Sandkasten und Bänken laden zum Plausch mit den Nachbarn ein. Auch das Schammatdorfzentrum ist ein beliebter Treffpunkt, etwa jeden Freitagabend im „Kneipchen“. Ebenso finden dort das Sommerfest, Konzerte, Bastelnachmittage, der große Verschenkeflohmarkt und Sportangebote statt. „Gemeinschaft und Kommunikation sind ein ganz großer Bestandteil des Zusammenlebens hier“, sagt die „Kleine Bürgermeisterin“ Anja Loch. Zwar gebe es auch Leute, die eher zurückgezogen lebten, erwähnt Greichgauer, „aber das Dorf lebt vom Engagement“. Loch ergänzt: „Würden sich immer mehr zurückziehen, finge das Konzept an zu wackeln.“ Doch dies ist – wie aus dem Gespräch mit den beiden deutlich wird – keine ernsthafte Gefahr: Die Menschen engagieren sich ehrenamtlich und füreinander: ob sie für ihre Nachbarn kochen, Dienst im Kiosk oder „Kneipchen“ schieben oder Einkäufe erledigen.

Ähnlich der anderen GWA-Gebiete, gibt es auch im Schammatdorf Herausforderungen. Für Greichgauer zählen hierzu die veränderten gesellschaftlichen Strukturen. Sei ein Elternteil früher nach der Geburt länger daheim geblieben und habe sich im Dorf engagiert, würden mit der heutigen, meist früheren Rückkehr in den Beruf, teils „ehrenamtliche Säulen wegbrechen“, sagt sie. (gut)